Sonnabend
ist Vorsorgetag
von Karin Preuß
Ein volles Wartezimmer, Andrang am Empfangstresen und
ein immerfort klingelndes Telefon, an dem Patienten nach
Terminen fragen - so wie in der Praxis von Dr. Michael
Kärn sieht es bei vielen Ärzten aus. Doch der
Schweriner Augenarzt und sein Team wollen jetzt Abhilfe
schaffen. Seit dem vergangenen Sonnabend öffnet die
Praxis im Schweriner Stadtteil Lankow regelmäßig
zur Vorsorgesprechstunde.
Vorsorge wird nicht mehr von den Kassen bezahlt"Die
Crux für uns Augenärzte ist ja, dass sämtliche
bei uns anfallenden Vorsorgeuntersuchungen aus dem Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenkassen herausgenommen worden sind",
so Dr. Kärn. Das Bewusstsein zur Vorsorge sei aber
ungeachtet dessen, dass sie aus der eigenen Tasche bezahlt
werden muss, sehr groß, hat der Augenarzt zumindest
für die Patienten seiner Praxis konstatiert: "Mindestens
ein Drittel unserer Patienten kommt beispielsweise regelmäßig
zur Glaukom-Vorsorge." Weil kein dringender Handlungsbedarf
besteht, bekommen sie regelmäßig erst nach
mehreren Monaten einen Termin. Und selbst dann "verstopfen"
diese Patienten noch die Sprechstunde für Menschen,
die mit akuten Beschwerden zum Augenarzt kommen. Ein Zustand,
mit dem keiner der Beteiligten glücklich ist.
Mit der Sonnabend-Vorsorgesprechstunde will Dr. Kärn
dem jetzt abhelfen. Die Schlüsselrolle dabei spielen
weniger er selbst und sein angestellter ärztlicher
Kollege Alexander Böhme, sondern vielmehr bereits
die Schwestern bei der Terminvergabe. Sabine Heider, die
die Arbeit von fünf fest angestellten Schwestern
und drei Auszubildenden in der Praxis koordiniert, weiß
um die Verantwortung, die sie und die Kolleginnen dabei
tragen: "Aber als augenärztliche Arzthelferin
muss man einfach wissen, welche gezielten Fragen man stellen
muss, um die Dringlichkeit eines Falles einzuschätzen."
Sieht jemand aus heiterem Himmel Blitze bzw. real nicht
existierende "Fliegenschwärme" oder ist
das Gesichtsfeld halbseitig eingeschränkt, muss er
so schnell wie möglich ärztlich untersucht werden.
Praxismanagement über mehrere Jahre verändert"Für
diese Fälle haben wir in der Terminplanung einen
Puffer, um immer den einen oder anderen Akutfall dazwischenschieben
zu können", erläutert Sabine Heider.
Was jetzt organisatorisch - von nicht planbarem Zulauf
während der Urlaubsvertretung für andere Praxen
einmal abgesehen - gut funktioniert, bedurfte in der Praxis
eines mehrjährigen Lernprozesses. "Wir haben
im Jahr 2003 eine professionelle Praxismanagement-Beratung
in Anspruch genommen", so Dr. Kärn. Die Trainer,
die z. B. auch schon Lufthansa-Stewardessen darin ausbildeten,
in der Luft mit "Problem-Passagieren" fertig
zu werden, legten dabei den Finger in so manche Wunde.
"Früher haben die Schwestern aus Mitleid oder
Angst immer noch jemanden in den Kalender reingequetscht",
erinnert sich der Augenarzt, der dann den Unmut derjenigen
zu spüren bekam, die trotz vor Wochen oder Monaten
vereinbarten Termins umso länger im Wartezimmer sitzen
mussten. "Mittlerweile wissen wir, dass wir die Sprechstunde
nicht zu voll machen dürfen", so Sabine Heider.
Was auch unangenehme Konsequenzen haben kann: "Wenn
das nächste halbe Jahr ausgebucht ist muss man zu
einem Patienten auch mal Nein sagen können - denn
ein Termin in einem Jahr hilft keinem."
In der Tat gibt es auch in dieser gut organisierten Praxis
Termine, die ein halbes Jahr im Voraus vergeben werden.
"Wir haben etwa 700 Patienten mit einem Grünen
Star, bei denen alle drei Monate eine Kontrolluntersuchung
erforderlich ist", erläutert Schwester Sabine.
"Das heißt, unsere chronischen Patienten müssen
immer gleich zwei Termine mitnehmen." Im Umkehrschluss
heißt das auch: Jede Änderung der Praxisorganisation
- egal ob eine Veränderung der Sprechzeiten oder
auch der Praxisurlaub - muss mit mindestens einem halben
Jahr Vorlauf geplant werden.
Dr. Kärn: In kürzester Zeit wird es Nachahmer
geben. Mit der Vorsorge-Sprechstunde ging es allerdings
schneller. Im Idealfall soll sie ja dafür sorgen,
dass noch mehr "Luft" in die Praxisplanung kommt.
Wer eine Termin zum Augencheck für den Führerschein,
zur Vorsorge für den Grünen Star, zur Früherkennung
von Gefäßschädigungen oder der altersbedingten
Makuladegeneration beziehungsweise für eine andere
"Igel"-Untersuchung wünscht, der wird von
den Schwestern künftig vorrangig auf den Sonnabend
verwiesen. Als Selbstzahler ist er dann quasi Privatpatient.
Den Praxismitarbeiterinnen, die ab jetzt in regelmäßigen
Abständen auch sonnabends zum Dienst eingeteilt sind,
hat der Chef einen Freizeitausgleich zugesagt. "Er
hat uns vorher gefragt, alle waren einverstanden",
so Sabine Heider. "Schließlich müssen
viele andere ja auch sonnabends arbeiten." Und wenn
mit der Vorsorge-Sprechstunde alles so klappt, wie Dr.
Kärn es sich vorstellt, wird die Arbeit an den normalen
Wochentagen schließlich auch für die Schwestern
sehr viel weniger anstrengend.
Absehbar ist das schon jetzt: Bereits in den ersten drei
Stunden nach Bekanntgabe der zusätzlichen Praxis-Öffnungszeiten
waren die Termine für drei Vorsorge-Sonnabende vergeben.
"Die Patienten sind teilweise sehr froh über
das Angebot. Manche waren noch nie beim Augenarzt und
konnten nirgends durchkommen", so Dr. Kärn.
Er ist sicher: "In kürzester Zeit bieten meine
Kollegen und Kolleginnen auch eine Vorsorgesprechstunde
an!"
Warten
auf den Arzt-Termin
12. September 2007 | von Karin Preuß
Vor wenigen Wochen platzte einem Diabetiker von der Insel
Poel der Kragen. Im November 2006 hatte er in einer Wismarer
Augenarztpraxis einen Termin für den 26. Juni 2007
bekommen. Doch am Tag zuvor rief man aus der Praxis an:
Leider müsse sein Termin auf den 4. September verschoben
werden. Sollte ihm der Termin nicht passen, könnte
er erst im Januar 2008 einen neuen bekommen. Der Poeler
akzeptierte die Verschiebung zähneknirschend, machte
seiner Wut aber in einem geharnischten Brief an den Vorsitzenden
der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) MV, Dr. Wolfgang
Eckert, Luft.
Zu noch drastischeren Mitteln griff eine Wismarer Familie,
deren Tochter in derselben Augenarztpraxis trotz eines
sichtlich entzündeten Auges überhaupt nicht
behandelt werden sollte. Die Arzthelferin riet dem Vater,
mit seiner Tochter nach Schwerin zu fahren. Dass der Bruder
des Mädchens an diesem Tag um 17 Uhr einen Termin
in jener Praxis gehabt hätte, den er aber nicht wahrnahm,
spielte keine Rolle. Als schließlich auch noch der
gerufene Notarzt die Behandlung des Mädchens mit
Hinweis auf seine fehlende augenärztliche Qualifikation
ablehnte, rief der Vater die Polizei. Und die wies die
ärztliche Behandlung in der Augenarztpraxis als Notfall
an.
Beides sind, so Dr. Eckert, besonders spektakuläre
Fälle. Einzelfälle aber sind es nicht. "Die
Wartezeiten auf einen Termin beim Augenarzt sind nach
wie vor sehr lang", bestätigt der KV-Chef, der
verschiedene Ursachen dafür ausmacht.
Planung berücksichtigt Alter und Gesundheitszustand
nichtDie erste Ursache liegt in der Reglementierung der
Ärzte-Zulassung. "Die Planzahlen werden bundesweit
erstellt. Sie berücksichtigen, auf wieviele Einwohner
wieviele Ärzte einer bestimmten Fachgruppe zu kommen
haben. Unberücksichtigt bleiben aber die Altersstruktur
und die Erkrankungshäufigkeit in den einzelnen Regionen",
so Dr. Eckert. Dass die Zahl der an Diabetes, Bluthochdruck
oder Übergewicht leidenden Menschen in Mecklenburg-Vorpommern
besonders hoch sei, bliebe also unbeachtet. "Gerade
diese Patientengruppen aber müssen auch regelmäßig
zur augenärztlichen Kontrolle", erläutert
Dr. Eckert.
Um die größten "Löcher" im Bereich
Schwerin/Wismar zu stopfen, habe nun die KV einen Sonderbedarf
für die Zulassung eines weiteren konservativ tätigen
Augenarztes ab 1. Januar 2008 bewilligt, so Dr. Eckert.
In Wismar sei eine Augenärztin, die ihre Zulassung
bereits ruhen ließ, "reaktiviert" worden.
"Wir haben die Kolleginnen motivieren können
weiter zu praktizieren, bis sich ein Kollege findet, der
ihre Praxis übernimmt. Bei der Suche wollen wir sie
unterstützen", erklärt der KV-Chef. Schließlich
habe er sich auch in einem Schreiben an die Augenklinik
der Schweriner Helios-Kliniken gewandt und angeboten,
eine Ermächtigung zur ambulanten Versorgung zu erteilen.
"Das war am 20. Juli. Eine Antwort habe ich bis heute
nicht bekommen," bedauert Dr. Eckert.
Einbeziehung der Kliniken könnte Entlastung bringenDennoch
steht er dazu: Neben der über die aktuellen Bedarfsplanung
hinausgehenden Zulassung von Ärzten könnte vor
allem die Einbeziehung der Kliniken in die ambulante Versorgung
zumindest zu einer gewissen Entspannung der Lage beitragen.
Was die Zulassung weiterer Ärzte betrifft, tut sich
allerdings ein weiteres Problem auf. "Der ärztliche
Nachwuchs aus den Universitäten kommt nicht mehr
in den Praxen an", konstatiert Dr. Eckert. Sprich:
Der Arztberuf wird immer unattraktiver - und hier im Nordosten
erst recht. "Um Ärzte aus anderen Bundesländern
dazu zu bewegen, sich hier niederzulassen, fehlen uns
die Mittel", konstatiert Dr. Eckert. "Wir können
ihnen einfach nicht das Honorar bieten, das in den alten
Bundesländern gezahlt wird." Um 20, verglichen
mit Bayern sogar um 30 Prozent niedriger seien die Bezüge
der niedergelassenen Ärzte hier im Osten.
Das bezöge sich nicht nur auf Augenärzte, sondern
auch auf andere Fachrichtungen und auf Hausärzte.
"Selbst die finden vielfach keine Praxisnachfolger
mehr", weiß Dr. Eckert, der auf einen aktuellen
Fall in Rostock verweist. Patienten einer aus Altersgründen
aufgegebenen Hausarztpraxis beklagten, dass sie in anderen
nahe gelegenen Praxen nicht mehr aufgenommen würden.
Und ein Nachfolger für den alten Arzt sei nicht in
Sicht.
"In dieser Hinsicht hoffen wir auf die Reform der
ärztlichen Honorierung, die zum 1. Januar 2009 in
Kraft treten wird. Dann soll eine ärztliche Leistung
unabhängig davon, wo sie erbracht wird, überall
gleich viel wert sein", so der KV-Vorsitzende. Und
das wiederum könnte ein Anreiz sein, sich auch hier
niederzulassen.
Die dritte Ursache für den Ansturm insbesondere auf
die Augenarztpraxen sieht der KV-Chef in den Desease-Management-Programmen
(DMP), die die Kassen für Versicherte mit bestimmten
Krankheitsbildern auflegen. Im Prinzip eine gute Sache,
denn die Programme zielen darauf ab, die Versorgung und
Betreuung chronisch Erkrankter zu verbessern. Doch auch
hier kommt wieder zum Tragen, dass Mecklenburger und Vorpommmern
überdurchschnittlich häufig an bestimmten Krankheiten
leiden. So haben sich allein 40 000 AOK-Versicherte hierzulande
in das DMP Diabetes eingeschrieben - für sie gehören
regelmäßige Kontrollen beim Augenarzt ebenso
zum Programm wie für die Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
die bei ihrer Kasse an einem DMP teilnehmen. Sie alle
müssen zusätzlich zu Akutfällen in die
Praxisplanungen integriert werden.
Wertvolle Zeit geht für Diskussionen über Politik
draufAls weiteren Grund für Wartezeiten in Praxen
macht Dr. Eckert die aktuelle Gesundheitspolitik aus.
Ob Arzneimittelaustausch oder Leistungsausgrenzungen:
Was politisch gewollt ist, führt zu ständigen
Diskussionen, für die wertvolle Zeit drauf geht,
die schließlich bei der Behandlung der Patienten
fehlt.
Natürlich seien Wartezeiten in gewissem Maße
auch der Praxisorganisation geschuldet. Doch Dr. Eckert
möchte niedergelassenen (Augen-)Ärzten und ihren
Praxisteams keinen Vorwurf machen: "In vielen Praxen
hier in Mecklenburg-Vorpommern haben wir noch relativ
veraltete Praxisausstattungen. Dazu kommt, dass unsere
Ärzte ein Drittel weniger an Personal beschäftigen,
als das in den alten Bundesländern üblich ist."
Daraus folge eine vergleichsweise niedrigere Durchlaufquote.
Dennoch müsste aber ein Augenarzt hier 1800 bis 2000
oder manchmal sogar noch mehr Patienten behandeln. In
den alten Bundesländern hätte ein Augenarzt
dagegen nur 900 bis 1000 Patienten.
"Alle Augenärzte im Land haben uns aber zugesichert,
dass jeder Akutfall von ihnen behandelt wird" , so
Dr. Eckert. Wenn allerdings ein Arzt einem Patienten,
der um einen Vorsorgetermin bittet, empfiehlt, sich an
eine andere Praxis zu wenden, dann hat er Verständnis
dafür.
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